Der Zusammenhang zwischen Muskelatrophie und der Passform des Sattels. Teil I

von Jochen Schleese

Der Zusammenhang zwischen Muskelatrophie und der Passform des Sattels. Teil I

von Jochen Schleese

Muskelatrophie ist etwas, das man normalerweise bei älteren Menschen beobachten kann. Und bei älteren Pferden. Die Muskulatur bildet sich mit zunehmendem Alter oder weil sie zu wenig benutzt wird einfach zurück. Traurigerweise zeigen auch Tierschutzpferde, die Hunger und Vernachlässigung erleben mussten, häufig unabhängig von ihrem Alter atrophierte Muskulatur. Mit Muskelatrophie bezeichnet man ein Abnehmen der Muskelkraft, das durch einen Rückgang der Muskelmasse oder der Anzahl an Muskelfasern verursacht wird. Die Atrophie kann auf bestimmte Regionen beschränkt sein oder das ganze Pferd betreffen und unterschiedliche Schwächegrade zur Folge haben.
Kommt es während des Alterungsprozesses zu Atrophien, spricht man von Sarkopenie. Sarkopenie ist ein altersbedingter Verlust der Skelettmuskulatur, der zu Schwäche und Gebrechlichkeit führt. Häufig tritt er zusammen mit Osteoporose auf, einem Verlust der Knochendichte, die ebenfalls mit dem Alterungsprozess in Verbindung gebracht wird. Doch das zunehmende Alter ist nicht die einzige Ursache. Wenn Ihr Pferd eine verletzungsbedingte Pause hat und sein reguläres Training zum Stillstand verdammt ist, werden seine Muskeln ebenfalls zu einem gewissen Maß atrophieren. Was aber, wenn Ihr Pferd aber weder alt ist, noch verletzungsbedingt pausiert und Sie es regelmäßig gewissenhaft trainieren und dennoch feststellen müssen, dass seine Muskeln abnehmen?

Leider tritt Muskelatrophie mitunter auch trotz bester Absichten und Anstrengungen auf. Die Hauptsorgen von Pferdeleuten sind dann ja, ob ein Muskel sich erholt und seine frühere Kraft, Ausprägung und Form wieder erlangt und wie man sein Pferd dabei am besten unterstützt. Häufig hilft Physiotherapie, doch zunächst einmal sollte man die möglichen Ursachen erforschen.

Angenommen, Sie haben keine größeren Veränderungen im Alltag Ihres Pferdes vorgenommen und auch seinen Futterplan nicht weiter umgestellt. Dann haben Sie eine Vielzahl an diagnostischen Möglichkeiten, um die Ursache für Muskelatrophien zu bestimmen, angefangen von der Untersuchung der MuskelenzymeMessung von Serumproben, um die Vitamin E Konzentration zu ermitteln, Ultraschall, Röntgen, Nuklearszintigraphie, Elektromyographie (EMG) und sogar Muskelbiopsie.

Überprüfen Sie den Sattel

Die Ursache von Muskelatrophie bei Pferden ist allzu häufig ein schlecht passender Sattel. Wenn ein unausgewogener Sattel zu viel Druck auf einen bestimmten Muskel ausübt, und das Pferd versucht, diesem Druck auszuweichen oder zu entgehen, kommt es in eine Art Abwehrhaltung, in der es den Muskel samt der umliegenden Muskulatur anspannt und sich sogar anders bewegt. Unter dem Druckpunkt ist die Durchblutung verringert und dadurch gelangen weniger Nährstoffe und Sauerstoff in das betroffene Gebiet. Der Muskel entwickelt sich nicht, sondern atrophiert.

Atrophie ist das Ergebnis von gravierendem und konstantem Druck. Zuerst schädigt dieser Druck die Haarfollikel und führt zu Haarverlust oder/und weißem Haar. Die Atrophie kann nur dann rückgängig gemacht werden, wenn die Ursache dafür, also der schmerzende Sattel, abgestellt wird. Dann kann der Muskel sich wieder entwickeln, die weißen Haare bleiben jedoch. Bei der  Neubildung von atrophierten Muskeln hilft die Muskelerinnerung, wenn der Muskel früher korrekt aufgebaut wurde.Untrainierte oder unkorrekt ausgebildete Muskulatur, die sich in der Vergangenheit nie korrekt entwickeln konnte, benötigt deutlich mehr Zeit für ihr Wachstum.

Muskelatrophie
Das Pferd reagiert mit Abwehr auf den Sattel, vermutlich, weil es Schmerzen erwartet, die ihm in der Vergangenheit durch einen schlecht passenden Sattel
zugefügt wurden. Foto: Karen Loshbaugh, CSE.

Atrophie verstehen

Muskelatrophie oder Muskelschwund ist ein medizinischer Begriff, der vereinfacht gesagt das Abnehmen von Muskelmasse bezeichnet. Muskelatrophie tritt meist in zwei Formenauf, Atrophie durch Inaktivität der Muskulatur oder neurale Atrophie. Beide Formen haben das gleiche Erscheinungsbild, doch ihre Ursachen unterscheiden sich. Bei der ersten Form wird die Muskulatur zu wenig beansprucht, bei der zweiten gibt es ein Problem bei den Nerven, die die Muskeln aktivieren.

Muskelaufbau kann ebenfalls durch Muskelatrophie entstehen, die Ausprägung ist jedoch negativ. Positiver Muskelaufbau entsteht durch Muskelwachstum bei korrektem Training. Negativer Muskelaufbau entsteht durch Abwehrspannung, etwa, weil der Sattel schlecht sitzt und schmerzt. Dieser negative Muskelaufbau ist hypertonisch, das bedeutet, dass der Muskel unnatürlich lang kontrahiert und sich in einem Zustand pathologischer Spannung befindet. Dadurch kommt es zu fester, verkrampfter und schmerzender Muskelentwicklung, die wie Atrophie aussehen kann.

Die häufigste Form der Muskelatrophie entsteht durch Immobilität. Neurale Atrophie ist oft durch Verletzungen oder Krankheit der Nerven, die mit dem Muskel in Verbindung stehen, bedingt und nicht ganz so verbreitet. Sie ist sehr viel schwerer zu therapieren. Die neurale Muskelatrophie kann sich zum Beispiel entwickeln, wenn es zu Störungen oder Unterbrechungen in der Funktion  der peripheren motorischen Nerven kommt. Normalerweise reagieren nicht alle Muskelfasern, die von einem Nerv versorgt werden, mit Atrophie. Einige funktionieren weiterhin relativ normal. Schwere, lang anhaltende neuromuskuläre Blockaden lösen häufig neurale Muskelatrophie aus. Obwohl atrophierte Muskelzellen weniger leistungsfähig sein können, sind sie anfangs nicht vollkommen funktionsuntüchtig. Die Atrophie kann allerdings bis zu einem Punkt fortschreiten, an dem die Zellen geschädigt sind und absterben.  

Der medizinische Fachbegriff für die verminderte Durchblutung eines Organs oder einer Körperregion lautet Ischämie. Sie wird durch einen verringerten Blutfluss zu den Kapillaren verursacht, der wiederum durch Druck entsteht. Dies ist bei einem schlecht passenden Sattel oft der Fall, wenn der Sattel Widerrist und Schulter einklemmt, weil er im Kissenkanal zu eng ist oder weil der Sattelbaum einen unkorrekten Winkel oder die falsche Weite hat.  In Gewebe mit Mangeldurchblutung ist die Durchblutung häufig so eingeschränkt, dass nicht einmal verkümmerte Zellen noch am Leben erhalten werden. Das Ergebnis sind Zellschäden und schließlich das Absterben von Zellen.

Es gibt sogar einen Namen für Muskelatrophien im Schulterbereich des Pferdes. Sie werden „SweeneyShoulder“ genannt. Ursache ist eine Verletzung oder eine Schädigung des Nervus Suprascapularis, der die Muskeln Supraspinatus, Infraspinatus und Triceps kontrolliert. Auch eine plötzliche Bewegung oder Gewichtsverlagerung von der Vorhand auf die Hinterhand, wie beim Polo oder Springsport üblich, kann zur Sweeney Schulter führen.

Als Pferde vor über hundert Jahren noch das Transportmittel Nummer eins waren, wurde die Sweeney Schulter durch die schweren Geschirre verursacht, die die Kutsch- und Zugpferde tragen mussten. Diese Geschirre drückten oder quetschten den Nerv ans Schulterblatt, so dass es zu langwierigen, anhaltenden Muskelschädigungen kam. Diese Nervenkompression ist auch in anderen Körperregionen des Pferdes zu beobachten. Egal, wo sie auftritt, sie führt zu Muskelatrophie.

Diese Nervenkompression ist auch in anderen Körperregionen des Pferdes zu beobachten. Egal, wo sie auftritt, sie führt zu Muskelatrophie. Ein Muskel, der durch bestimmtes Training über seine natürliche Form und Größe hinaus aufgebaut wurde, entwickelt sich in seine natürliche Form zurück, wenn nicht weiter trainiert wird. Er „atrophiert“ gewissermaßen. Einen Muskel aufzubauen, dauert vier Mal so lange, wie sein Abbau. Daher hat eine länger andauernde Bettruhe auch so eine dramatische Wirkung auf die Beinmuskulatur, die man bemerkt, wenn man wieder aufstehen darf. Boxenruhe hat meist den gleichen Effekt.

Muskelatrophie
Ein schlecht passender Sattel hat in der Vergangenheit dieses Pferdes zu Schäden geführt, was man nun an den weißen Haaren erkennen kann.

 

Muskelatrophie
Beispiel für Muskelatrophien hinter dem Sattel
Muskelatrophie
Der Trapezius Muskel kann sich durch ein falsch gewinkeltes Kopfeisen oder einen nicht
korrekten Winkel der Ortspitzen entzünden. Dadurch kommt es zu solchen Wulsten mit
anschließenden Vertiefungen hinter dem Widerrist.

 

Muskelatrophie
Ein falsch angepasstes Kopfeisen führt zu konstantem Druck auf den seitlichen Widerrist.
Infolgedessen kommt es zu dieser Stresslinie, die durch eine Abwehrspannung des Trapezius
Muskels entstanden ist.

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