Sattelanpassung – Mehr als neun Punkte bis zur Perfektion

von Jochen Schleese und Dr. Joanna Robson, DVM

Sattelanpassung – Mehr als neun Punkte bis zur Perfektion

von Jochen Schleese und Dr. Joanna Robson, DVM

Sattelanpassung

Artikel über die Sattelanpassung werden von Zeit zu Zeit gedruckt oder online in Pferdezeitschriften veröffentlicht. Häufig beinhalten diese Artikel eine Checkliste, die aus neun oder elf oder mehr Punkten besteht und mit deren Hilfe man überprüfen kann, ob der eigene Sattel passt. Wenn man vorhat, erfolgreich zu reiten, dann ist die wichtigste Voraussetzung in jedem Fall ist, dass die Reiterin versteht, warum ein Sattel auf eine bestimmte Art passen sollte, und was die häufigsten Folgen sind, wenn er es nicht tut. Das ist besonders vor dem Start der Turniersaison wichtig, wenn ein Pferd nach dem etwas weniger intensiven Wintertraining wieder neu Kondition und Muskulatur aufbauen muss.

Neulich war ich in einem Reiterladen und wurde Zeuge eines Gesprächs zwischen zwei Reiterinnen, die nach einem neuen Sattel Ausschau hielten. Eine der beiden setzte sich in einige wirklich teure Sättel und schien sich schließlich in einem von ihnen wohl zu fühlen. Die Freundin, die ihr dabei zur Seite stand, sah sich den Sattel an und befand, dass der Baum dem Pferd gut passen müsse, da es ja ein mittelweiter Sattel war. Nun konnte ich nicht mehr länger an mich halten und fragte nach, um was für ein Pferd es sich denn handelte und ob sie zumindest einige Maße genommen und mitgebracht hatten, bevor sie solch einen teuren Kauf tätigten. Die Leute waren wirklich nett und wollten nur das Beste für ihr Pferd und ihr neues Reitabenteuer. Aber einen Sattel zu kaufen, ohne ihn vorher korrekt anzupassen, ist, als ob man einen Bikini für eine Freundin kaufen würde, ohne sie mit ins Geschäft zu nehmen. Schlimmer noch, denn wenn der Bikini nicht passt, wird er zumindest keinen physischen Schaden anrichten.

Wenn man ein wenig von der grundsätzlichen Pferdeanatomie versteht, begreift man auch, warum der Sattel korrekt passen muss, damit ein Pferd schmerzfrei zur vollen Leistungsfähigkeit aufläuft. Die Pferdeschulter muss ihre volle Bewegungsfreiheit entfalten können, um verstärkten Trab, Cutting oder Sprünge zu meistern. An der Oberseite der Scapula oder des Schulterblatts befindet sich Knorpel. Klemmt der Sattel an dieser Stelle, kann er den empfindlichen Knorpel abreißen, der es dem Schulterblatt ermöglicht, unter den darüber liegenden Muskeln hindurchzugleiten. Die Folgen klemmender Sättel können mit den modernen bildgebenden Verfahren wie MRT oder CT dokumentiert werden. Vorne am Kissen sollte genügend Raum sein, damit die Scapula das volle Bewegungsausmaß entfalten kann.

Der Sattelbaum wurde so konzipiert, um dem Sattel einen Rahmen zu geben, aber auch, um die Krümmungen der menschlichen Wirbelsäule zu unterstützen. Außerdem ist er die Schnittstelle zwischen der Kommunikation von Pferd und Reiter. Sättel „von der Stange“ werden häufig mit unterschiedlichen Baumweiten angeboten (eng, medium / mittel, weit, extraweit und Kombinationen dieser Größen).

Wussten Sie, dass auch diese Sattelbäume einen Winkel haben? Der Winkel des Sattelbaums entspricht dem Winkel der Pferdeschulter und die Weite des Baums steht in Beziehung zur Breite des Schultermuskels. Auch wenn zwei unterschiedliche Sättel eine weite Kammer haben, so können sie doch einen völlig unterschiedlichen Winkel aufweisen. Ein Pferd kann einen engen Winkel brauchen, damit der Widerrist frei bleibt, aber einen sehr weiten Baum, um der Breite der Schulterblätter und –muskulatur zu entsprechen. Es sind die individuellen Unterschiede in der Anatomie, die die Sattelanpassung unverzichtbar machen. Eine Größe passt eben nicht allen Pferden, auch wenn wir es so gelernt haben und die Industrie deswegen die Kategorien nutzt, um Sättel en masse zu produzieren.

Einige Anzeichen dafür, dass Ihr Pferd Schwierigkeiten mit der Passform Ihres Sattels und daraus resultierend Rückenschmerzen hat:

  • Weisse Haare unter dem Sattel
  • Beißt oder wehrt sich, wenn es gesattelt wird
  • Nervös beim Aufsitzen, steht nicht still
  • Buckelt oder schlägt unter dem Sattel aus
  • Steigt
  • Reißt Sprünge oder rast durch den Parcours
  • Schwierigkeiten beim Handgalopp oder Galoppwechseln
  • Unphysiologische Muskelentwicklung, keine korrekte Oberlinie
  • Steif beim Aufwärmen, „kalter“ Rücken
  • Schwer zu versammeln, schwierig bei Seitengängen

Der Trapezmuskel entspringt am Grat des Schulterblatts. Man kann ihn am Pferd mit dem Zeigefinger ertasten. Von da zieht er nach vorne am Pferdehals aufwärts und nach hinten zum Widerrist. Die Funktion dieses Muskels ist es, das Schulterblatt anzuheben und an der Körperwand festzuhalten. Pferde, die versuchen, ihre Schultern nach unten zu drücken, um dem klemmenden Sattel zu entgehen, haben in dieser Region häufig Atrophien. Wenn Sie sich umschauen, werden Sie mit Sicherheit Pferde entdecken, die vor dem Widerrist eine deutliche Kuhle haben.

Kommen wir nun zu dem Nerv, der direkt am Trapezmuskel hinter dem Widerrist entspringt. Diesen Nerv nennt man den elften Hirnnerv oder den Nervus accessorius. Stupsen oder kneifen Sie Ihr Pferd einige Male in dieser Region und beobachten Sie seine Reaktion. Sein Kopf hebt sich, sein Rücken senkt sich, es schwenkt seinen Schweif und es kann sogar sein, dass es sich zu Ihnen umdreht, um Sie zu beißen. Stellen Sie sich nun vor, dass Ihr Sattel jedes Mal, wenn Sie reiten, genau an dieser Stelle drückt.
Legt Ihr Pferd die Ohren an, wenn Sie es angebunden haben und satteln möchten? Dann will es Ihnen mitteilen, dass ihm der Sattel weh tut. Einige Pferde mit chronisch eingeklemmter Schulter entwickeln außerdem eine auffällige Linie oberhalb der Schulter. Diese Linie liegt dort, wo der Hautmuskel des Rumpfes zuckt, wenn eine Fliege auf dem Pferd landet. Als Sie hinter der Schulter gezwickt haben, könnte dieser Muskel gezuckt haben. Wird er permanent stimuliert, könnte sich eine erhabene Linie oder sichtbare Furche bilden.

Der Kissenkanal des Sattels muss weit genug sein, damit die Kissen nicht auf den Querfortsätzen der Rückenwirbel oder den Rückenbändern aufliegen. Wird hier Druck ausgeübt, kann sich im Bindegewebe Flüssigkeit stauen wie in einer Wasserblase, obwohl die Flüssigkeit nirgendwohin kann. Diese Reibung kann mit einem zu kleinen Paar Schuhe verglichen werden. Sie wissen ja, dass Sie davon eine Blase an der Ferse bekommen. Ihr Pferd bekommt von einem zu engen Sattel das Gleiche. Der Kissenkanal sollte auf der ganzen Länge mindestens drei Finger breit sein. Für die heutigen großen Warmblüter und die schweren Quarter Horses sollte er sogar fünf bis sechs Finger breit sein.

Obwohl Westernsättel häufig einen weiten Kissenkanal haben, ist ihr Nachteil, dass sie mitunter zu lang sind. Die ausgeprägte Länge und das häufig harte Skirtleder üben übermäßigen Druck auf die Lendenwirbelsäule und die Kruppe des Pferdes aus. Das zusätzliche Gewicht dieser Sättel verstärkt die klemmende Wirkung, wenn der Sattel an der Schulter nicht korrekt aufliegt. Ein englischer Sattel sollte über den 18. Brustwirbel nicht hinausgehen. Pferde haben 18 Rippen, wenn Sie also die letzte Rippe ertastet und bis zur Wirbelsäule verfolgt haben, finden Sie auch die hintere Grenze.

Häufig wird der Sattel irrtümlich zu weit nach vorne gelegt. Selbst ein nicht ganz ideal passender Sattel liegt etwas weiter hinter den Schultern besser. Dort gehört er hin. Legen Sie den Sattel auf den Widerrist und ziehen Sie ihn dann nach hinten in die Sattellage, bis er „am richtigen Platz“ liegt. Schauen Sie sich an, ob oben genug Raum ist, so dass das Schulterblatt frei nach hinten rotieren kann, ohne in den Baum zu krachen. Und denken Sie daran, dass ein korrekt passender Sattel nur ein dünnes Pad braucht, das den Widerrist frei lässt und den Konturen des Pferderückens folgt. Sattelpads für schlecht passende Sättel sind nur eine Art Pflaster. Sie verändern die Druckpunkte so lange, bis neue Druckpunkte entstehen. Wenn Ihre Schuhe zu klein sind, gehen die Blasen durch das Tragen dicker Socken nicht weg!
Wenn Sie den richtigen Sattel finden möchten, müssen Sie Ihr Pferd dabei haben. Nehmen Sie die Hilfe eines Fachmannes oder einer Fachfrau in Anspruch! Es sollte sich um einen Tierarzt oder einen zertifizierten Sattelergonomen handeln, und nicht um den Sattelverkäufer eines Sattelherstellers. Wenn Ihr Pferd nicht dabei sein kann, ist es sinnvoll, wenn Sie einfache Aufzeichnungen der Maße Ihres Pferdes anfertigen. Einige Reitsportläden gestatten Ihnen gegen ein Depositum, die zur Auswahl stehenden Sättel mit nach Hause zu nehmen. Pferdekörper verändern sich mit der Zeit ebenso wie es unsere Körper tun. Sie tragen nicht mehr die gleiche Jeans, die Sie mit sechs Jahren getragen haben. Erwarten Sie also nicht, dass ein Sattel mit Holz- oder Kunststoffbaum, der sich nicht anpassen lässt, Ihnen und Ihrem Pferd ein Leben lang passt. Anpassbare Kopfeisen und Bäume sind von Vorteil, aber sowohl dem Winkel, als auch der Weite des Baums muss Rechnung getragen werden. Baumlose Bäume sind zwar populär, bringen aber ebenfalls spezifische Probleme mit sich. Wenn Sie sich informiert und weitergebildet haben und wissen, was Sie wollen, sind Sie gut dafür gerüstet, einen Sattel zu finden, der für Sie und Ihr Pferd bequem ist und keine Schmerzen verursacht. Mit solch einem Sattel können Sie beide die nächsten Jahre wirklich genießen.

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Übersetzung ins Deutsche: Ute Ochsenbauer

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